Digitalisierung

Die stetige Entwicklung digitaler Technik und die umfassende Vernetzung digitaler Geräte seit den 80er und 90er Jahren hat eine gewaltige Wirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft. Digitale Geräte sind sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause und sogar unterwegs allgegenwärtig geworden, während das Internet zu einer unabdingbaren Informationsquelle und zu einem universellen Kommunikationsmittel geworden ist. Damit wird immer mehr Information im digitaler Form produziert, verarbeitet und kommuniziert. Unter dem Begriff der Digitalisierung wird dementsprechend eine Vielzahl von Veränderungen und technischen Entwicklungen gefasst. Oft werden diese Prozesse nur auf einer rein materiellen Ebene verstanden, als Verbreitung von Hardware wie zum Beispiel Endgeräte, Glasfaserkabel und Serverparks oder von Software als Werkzeug. Dennoch müssen wir auch gesellschaftliche Veränderungen mitdenken: jenseits der Neugestaltung der Arbeitswelt hat sich unser gesellschaftliches Leben verändert. Unser Alltag ist von Algorithmen geprägt und von Geräten durchdrungen, die unser Verhalten in Daten erfassen. Dadurch übernimmt digitale Technik in immer mehr Lebensbereichen eine ausschlaggebende Rolle und es verschieben sich Machtverhältnisse zwischen Menschen und großen Techkonzernen.

Datenproduktion und -verarbeitung

In einem zunehmend digitalisierten Kapitalismus werden Daten zu einer bedeutenden Ware, deren Produktion zusehends eine Voraussetzung für Wirtschaftswachstum jenseits des industriellen Zeitalters wird. Sie spielen dabei eine ähnliche Rolle wie Öl und andere fossile Energieträger in der Entstehung der heutigen Wirtschaft: ihre Verarbeitung ermöglicht unzählige Anwendungen, die neue Lebensbereiche den Profitinteressen von Konzernen unterordnen und die Effizienzgewinne in den Betrieben befeuern. Datenproduktion ist meist ein unsichtbarer Prozess, der im Kontext der ständigen Erfassung unserer Arbeit und unserer Leben eingebettet ist — deswegen wird auch von Überwachungskapitalismus gesprochen. Die Weiterverarbeitung unserer Daten ist zum Kerngeschäft von Techkonzernen geworden und hat einen riesigen Energie- und Ressourcenbedarf, zum Beispiel weil lernende Algorithmen trainiert werden müssen. Diese Verschiebung der Produktion bedeutet allerdings auch, dass soziale Ungerechtigkeit sich nicht mehr nur in klassisch materiellen Wohlstandsunterschieden ausdrückt, sondern auch darin, welche Angebote es online gibt: die Daten von privilegierten Menschen sind in der Profitlogik wertvoller als die von anderen und dementsprechend werden mehr Plattformen entwickelt, um deren Bedürfnisse zu erfüllen. Darüber hinaus darf die prekäre Arbeit sogenannter Clickworker*innen in der Verarbeitung unserer alltäglich produzierten Daten in sozialen Medien nicht unterschätzt werden.

Daten

Informationen können von Rechnern nur in digitaler Form verarbeitet werden und werden deswegen in Daten erfasst — das heißt, als Zahlenfolgen kodiert und mittels elektronischer Geräte gespeichert. Dieses Verfahren kann zu Qualitätsverlust führen, zum Beispiel bei Bildern oder Ton, weil eine höhere Qualität eine größere Datenmenge erfordert. Dennoch können digitale Geräte heutzutage massive Mengen an Daten speichern und verarbeiten. Wegen der rasanten Entwicklung digitaler Technik können wir viel mehr Daten verarbeiten, als Menschen je in der Lage wären manuell zu produzieren. Die meisten Daten werden aber automatisch generiert, zum Beispiel durch Sensoren oder Smartphones, die unser alltägliches Verhalten abbilden. Wo Millionen von Blättern Papier nötig wären, um unsere Aktivitäten zu protokollieren, brauchen wir nur noch ein digitales Gerät. Solche Daten können von Algorithmen für unterschiedliche Zwecke verarbeitet werden und werfen dadurch eine komplexe Frage auf: wem gehören welche Daten? Die Nutzung von Daten für gemeinwohl- oder profitorientierte Zwecke steht im Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Debatte, die noch nicht abgeschlossen ist. Und obwohl es technisch möglich ist mit Verschlüsselung sensible Daten, wie den Inhalt einer Nachricht, zu schützen, werden nebenbei immer Metadaten produziert — das sind Daten über Daten, die zum Beispiel beschreiben, wann eine Nachricht an wen geschickt wurde.

Algorithmen

Digitale Geräte sind Maschinen, die fast alles rechnen können, und damit Daten beliebig verarbeiten können. Dafür muss aber ihre Aufgabe sehr genau beschrieben werden: ein Programm ist eine Anweisung, die einem Rechner sagt, was zu tun ist. Es muss aber in einer Sprache geschrieben werden, die dieser Rechner versteht — deswegen lernen Entwickler*innen sogenannte Programmiersprachen. Algorithmen beschreiben Lösungen für Aufgaben und müssen nicht in einer konkreten Programmiersprache verfasst sein. Typischerweise wird zuerst ein Algorithmus konzipiert, der dann in einem Programm angewendet wird. Wir reden oft von Algorithmen anstatt von Programmen, um zu betonen, dass die wichtigsten Entscheidungen bereits in der Konzeptionsphase getroffen werden: mit welcher Methode sollen Daten verarbeitet werden und wie viel Ressourcen braucht diese Aufgabe? Algorithmen reproduzieren dabei oft die Voreingenommenheiten ihrer Entwickler*innen. Mit dem Aufstieg von Algorithmen im Kontext der sogenannten künstlichen Intelligenz, die anhand von statistischen Methoden massive Mengen Daten verarbeitet und daraus lernt, gewinnt diese Frage an Bedeutung. Denn dabei ist die Datenverarbeitung stark beeinflusst durch die verwendeten Datensätze, und die Inhalte dieser Datensätze sind wiederum abhängig von deren Erstellungsweise. Dementsprechend führen solche Algorithmen zu Ergebnissen, die gesellschaftliche Verzerrungen wie Rassismus oder Sexismus widerspiegeln.

Plattform

Mit der massiven Produktion von digitalen Geräten sind neue Möglichkeiten der Vernetzung jenseits von klassischen Medien oder Webseiten entstanden. Der weit verbreitete Zugang zu digitalen Infrastrukturen ermöglicht Webseiten und Apps nicht nur Informationen zu veröffentlichen, sondern zwischen verschiedenen Gruppen zu vermitteln. Solche Plattformen wurden zuerst benutzt, um eine direktere Verbindung zwischen Firmen und potentiellen Kunden mittels individualisierter Werbung herzustellen, als exemplarisch bei Google zu sehen ist. Dieses Geschäftsmodell wurde dann erweitert, so dass nicht nur Firmen sondern Menschen alle Arten von Diensten anbieten konnten, von Wohnungsvermietung bis hin zu Essenslieferung. Dabei kommt der Plattform-Effekt ins Spiel: je mehr Nutzer*innen die Plattform hat, desto attraktiver ist sie für neue Nutzer*innen — und andersrum ist es schwieriger, sich für eine Alternative zu entscheiden. Dementsprechend werden Monopole gebildet und immer mehr Märkte weitgehend von wenigen Firmen kontrolliert, so beispielsweise im Bereich der Ferienwohnungsvermietung durch AirBnB. Wesentlich für die Macht der Techkonzerne in einem solchen Plattformkapitalismus ist die Aneignung aller Daten und ihre Verarbeitung durch Algorithmen, die die Plattform weiter verstärken oder den Aufbau neuer Dienste ermöglichen. Um diese Logik der Vermachtung zu brechen, könnten Plattformen und deren Datensätze als Gemeingut betrachtet werden, als Teil einer neuen Form der digitalen Wirtschaft, die es noch zu entwerfen gilt.

Effizienz

Die rasante Entwicklung der Technik seit der industriellen Revolution und die damit einhergehende Steigerung der Produktivität wird oft als Grundlage eines endlosen Fortschritts betrachtet. Dabei spielt der Begriff der Effizienz, als Minimierung von Kosten oder Maximierung von Produktion verstanden, eine zentrale Rolle. Allerdings ist die Bestrebung nach Effizienz selten nur an der Minimierung von Kosten orientiert: der Kapitalismus erfordert Wirtschaftswachstum, so dass unser Verständnis von Fortschritt sich vielmehr an der Maximierung der Produktion orientiert. Dementsprechend führen Rebound-Effekte dazu, dass wir noch mehr produzieren anstatt eine Kostensenkung beim gleichem Produktionsniveau zu erreichen. Diese Logik ist nicht auf die Produktion materieller Güter beschränkt, sondern wird übertragen auf andere gesellschaftliche Bereiche. Sowohl Dienstleistungen wie Essenslieferungen oder Autovermietungen als auch Infrastrukturen wie Straßen oder das Bildungssystem werden umgestaltet um effizienter zu werden. Hier werden allerdings nur wenige Dimensionen mitgedacht: ein effizienterer Verkehr bedeutet nach dieser Logik mehr Menschen möglichst flexibel zu transportieren, wobei ökologische Kosten oft externalisiert und ausgeblendet werden. Die sozialen Kosten prekärer Arbeit werden ebenso wenig bei einer möglichst effizienten Organisation von Essenslieferungen beachtet. Eine Alternative zum Effizienzzwang könnte eine Orientierung am Prinzip der Suffizienz liefern — also Kosten und insbesondere Umweltbelastungen auf ein Minimum zu senken. Dies wirft aber eine komplexe Frage auf: wie viel ist genug, und wer darf das für wen entscheiden? Im Sinne einer auch sozial gerechten Transformation könnte daher der Begriff der Konsistenz hilfreicher sein — also das Prinzip, unsere Lebens- und Produktionsweise an sozial und ökologisch nachhaltigen Werten anzupassen und dementsprechend angemessen zu gestalten.

Infrastruktur

Die Entwicklung der digitalen Technik hat viele Rahmenbedingungen von Wirtschaft und Gesellschaft verändert, die als Infrastrukturen unser Leben prägen. So waren Straßen und Eisenbahnstrecken maßgebend für unsere Mobilität, die Post für unsere Kommunikation. Inzwischen sind auch die Unterseekabel des Internets zu einer kritischen Infrastruktur geworden. Im weiteren Sinne können wir von drei Arten von Infrastrukturen sprechen. Materielle Infrastrukturen sind Gegenstände, wie Straßen oder Kabel, wozu wir gemeinsam Zugang haben. Institutionelle Infrastrukturen sind Organisationen und Normen, wie Ämter oder die Kommunikationsmethoden des Internets, die Regeln und Verfahrensweisen für unsere Handlungen definieren. Letztlich sind mentale Infrastrukturen Vorstellungen, wie die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Wachstums oder die Objektivität der Algorithmen, die unsere Gedanken und Entscheidungen prägen. Obwohl diese Infrastrukturen oft als gegebene Normalität wahrgenommen werden und aus unserem Blickfeld geraten, spielen sie eine tiefgreifende gesellschaftliche Rolle. Die von der digitalen Technik verursachten Veränderungen haben wesentliche Infrastrukturen aller drei Arten neugestaltet und damit unsere Normalität verändert. So hat zum Beispiel die Entwicklung unserer Kommunikationsmittel von der Post über das Telefon bis hin zu neuen Medienplattformen unser Verständnis von Freundschaft und Beziehungen radikal verändert. Dies wirft die Frage der Eigentumsverhältnisse auf, denn Infrastrukturen können nur demokratisch gestaltet werden, wenn sie unter öffentlicher Kontrolle stehen.

Materialität

Jede Produktions- und Lebensweise wirkt sich materiell auf die Welt aus. So hat der Kapitalismus bestimmte Arbeitsbedingungen in der Fabrik hervorgebracht, und die industrielle Produktionsweise zeichnet sich durch einen hohen Verbrauch an natürlichen Ressourcen aus. Unter dem Begriff der Materialität ist die Auswirkung eines Verfahrens auf Mensch und Natur zu verstehen. Im Diskurs rund um digitale Technik wird darunter oft ihr ökologischer Fußabdruck oder die Produktion und Entsorgung von Hardware diskutiert. Dennoch muss der ökologische Aspekt mit sozialen Fragen verbunden und die materiellen Lebensbedingungen für Menschen an den Orten der Produktion digitaler Geräte mitgedacht werden. Außerdem können wir die Hardware nicht von der Software trennen, denn diese vermeintlich immateriellen Dinge haben Voraussetzungen, die digitale Geräte erfüllen müssen. Damit sind sowohl Leistungsfähigkeit als auch Speicherkapazitäten gemeint, und Daten sind hier als wichtiger Rohstoff zu verstehen. Eine ganzheitliche Perspektive auf digitale Technik erfordert es, jenseits der stofflichen Speicherungs- und Verarbeitungskosten die sozialen Kosten der Erzeugung und Nutzung von Daten einzubeziehen.

Externalisierung

Unsere Produktionsweise basiert auf einer intensiven Nutzung von menschlichen und natürlichen Ressourcen und verursacht dabei soziale und ökologische Belastungen. In der Geschichte des Kapitalismus hat die Aneignung von Land, Rohstoffen und Arbeitskraft eine ausschlaggebende Rolle gespielt, und in modernen Industriegesellschaften werden wiederum viele Kosten ausgelagert. Durch diesen Prozess der Externalisierung werden materielle Belastungen wie arbeitsbedingte Krankheiten oder Umweltzerstörungen räumlich oder zeitlich „nach außen“ verschoben. Sie werden nicht intern als Kosten verrechnet, sondern von anderen ohne Entlohnung getragen oder auf die Umwelt abgewälzt — manchmal erst Jahrzehnte später, wie beim Klimawandel zu sehen ist. Dies geschieht im Kontext ungerechter globaler Machtverhältnisse und verstärkt die ungerechte Verteilung von Profit und Kosten, was oft mit dem Begriff der imperialen Lebensweise kritisiert wird. Hier ist die Grundlage der vermeintlichen Dematerialisierung zu finden: einen Film zu streamen verrät den Nutzer*innen einer digitalen Plattform wenig über Kohleverstromung für Rechenzentren, und genauso versteckt sind die prekären Arbeitsbedingungen in der Lieferbranche bei der Essensbestellung über eine App. Alle Kosten der digitalen Technik sichtbar zu machen würde aber die Erzählung ihrer Effizienz gefährden.

Rebound-Effekte

Das Streben nach Effizienz durch eine stetige technische Entwicklung birgt einen Widerspruch in sich: Effizienzgewinne in einem bestimmten Bereich ermöglichen die Steigerung von Produktion und Konsum in diesem Bereich durch die von ihnen verursachte Einsparung. Ein solcher Rebound-Effekt ist direkt und bedeutet zum Beispiel, dass ein neues digitales Gerät mit verringertem Stromverbrauch im Durchschnitt mehr genutzt wird und somit insgesamt mehr Energie als weniger effiziente Geräte verbraucht. Darüber hinaus können Einsparungen in einem Bereich zu einem indirekten Rebound-Effekt führen, indem sie in einem anderen Bereich wettgemacht werden — wer weniger Stromkosten hat, kann sich dafür zum Beispiel eine zusätzliche Flugreise in den Urlaub leisten. Die Summe der direkten und indirekten Rebound-Effekte führt gesamtwirtschaftlich zu einer Veränderung der Nachfrage. Dadurch beeinflusst sie die Produktion und stellt einen wesentlichen Treiber von Wirtschaftswachstum dar. Dies ist bei der Entwicklung der digitalen Technik exemplarisch zu beobachten: die vermeintliche Dematerialisierung basiert jenseits von Externalisierungseffekten auf realen Einsparungen in einzelnen Bereichen. Zum Beispiel steigt unser Strombedarf trotz einer immer besseren Energieeffizienz, weil digitale Geräte wie Smartphones sich rasch verbreitet haben und deren immer intensivere Nutzung eine massive digitale Infrastruktur erfordert. Dieser Widerspruch lässt sich nicht aufheben, denn es würde eine absolute Entkopplung einer wachsenden Produktion von ihren materiellen Kosten erfordern. Das Argument, dass eine solche Entkopplung durch den Übergang von der industriellen Produktion zur digitalen Datenproduktion und -verarbeitung erfolgen kann, ignoriert die Materialität der digitalen Technik und muss daher kritisch hinterfragt werden.

Zweckrationalität

Sowohl individuelles Handeln als auch gesellschaftliche Normen orientieren sich in Industriegesellschaften an rationellen Abwägungen: was ist der Zweck unserer Handlung, welche Mittel zum Zweck stehen uns zur Verfügung und was für Folgen hat der Einsatz solcher Mittel? Nach diesem Prinzip der Zweckrationalität muss jede Handlung einem Zweck dienen, und die Mittel werden meist nach ihrer Effizienz ausgewählt. Im Kapitalismus werden ökonomische Zwecke bevorzugt, so dass Kosteneffizienz und Wertschöpfungspotenzial zu den wichtigsten Kriterien des Handelns werden. Dementsprechend spielt digitale Technik als gewaltiger und vielfältiger Automatisierungsfaktor eine prominente Rolle als Ausdruck der Zweckrationalität in einer fortschreitend digitalisierten Wirtschaft. Die Bewertung unserer Entscheidungen anhand ökonomischer Kriterien verhindert aber die Orientierung am Gemeinwohl, und lässt die Frage der Angemessenheit unbeachtet, solange die Kosten gering bleiben oder externalisiert werden können. Außerdem fördert die Verwischung der Grenzen zwischen Mittel und Zweck in komplexen Infrastrukturen die Neigung, Technik als Zweck zu verstehen. Zum Beispiel wird der Aufbau einer massiven digitalen Infrastruktur angestrebt, unter der Annahme, dass die meisten Probleme in der Zukunft damit gelöst werden können: so werden immer mehr Fragen als Probleme betrachtet, die mit digitalen Mitteln gelöst werden müssen, anstatt dafür ein politisches Verfahren mit demokratischen Ansprüchen in Gang zu setzen.