In diesem Bereich des Projekts beschäftigen uns die Rolle digitaler Technik in der Gestaltung der Logistikbranche, speziell für den Bereich der Lager- und der Lieferlogistik, sowie deren Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen. Zusammen mit Vertreter*innen aus Gewerkschaften, Wissenschaft, selbstorganisierten Betrieben und sozialen Initiativen haben wir uns Fragen des bisherigen Einflusses digitaler Technik in der Logistik und einer möglichen Neugestaltung im Sinne einer Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen gestellt. Hier wollen wir unsere Diskussionen aus den Seminaren, die wir gemeinsam durchgeführt haben, zusammenfassen.

Was digitale Technik bisher in der Logistik verändert hat

Digitale Anwendungen und dahinterliegende Algorithmen steuern zunehmend Arbeitsabläufe in der Lieferlogistik, Plattformen regulieren den Zugang zu Märkten und prägen neue Geschäftsmodelle, digitale Geräte steuern und kontrollieren Arbeitsabläufe in Warenlagern. Diese neuen Organisations- und Steuerungsmöglichkeiten ermöglichen einen bequemeren Zugang für Kund*innen, sodass es zunehmend zur Gewohnheit wird, Produkte, auch Essen, online zu bestellen. Diese Attraktivität auf Konsument*innenseite spiegelt sich teilweise auch auf Seiten der Beschäftigten wider: Für Arbeitnehmer*innen wird es über eine zunehmend digitale Steuerung von Zugangsmöglichkeiten unkomplizierter, einen Job in der Logistikbranche anzunehmen — ein Smartphone, auf der die App der Plattform läuft, ist schon ausreichend. Meist erfolgt dieser jedoch unter schlechten Arbeitsbedingungen.

Mehr Flexibilität in den Arbeitszeiten und Vertragsbedingungen gehört ebenfalls zu den Veränderungen, die durch eine zunehmend digitale Steuerung von Arbeit entsteht. Allein bei dem Quasi-Monopolisten im Bereich Essenslieferungen Lieferando gibt es verschiedene Vertragsmodelle mit entsprechend unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen, die Beschäftigte für sich wählen können. Und auch bei großen Logistikunternehmen wie Amazon werden Beschäftigte je nach Bedarf über befristete Verträge eingestellt. Dieser ist wiederum stark abhängig von den Bestellumfängen der jeweiligen Saison. Über zunehmend digitale Managementsysteme wird Arbeitskraft sowohl auf der Ebene der längerfristigen Planung im Geschäftsjahr, als auch über präzise Arbeitsanweisungen wie das Zurücklegen der kürzesten Route vom Restaurant zu den Kund*innen oder dem effizientesten Laufweg im Warenlager digital gesteuert. Diese digitale Steuerung verursacht ein Gefühl der Fremdbestimmung, erzeugt Stress und Konkurrenz unter den Mitarbeiter*innen. Auf Kosten der Beschäftigten ermöglicht die digitale Steuerung Flexibilität auf der Konsumseite: Essen bestellen, wenn die Pause zum Selbstkochen nicht mehr ausreicht oder schnell noch das letzte Ausrüstungsutensil für den Urlaub ordern, der schon am nächsten Tag losgehen soll.

Die allumfassende digitale Steuerung der Arbeitsabläufe erfolgt über Algorithmen, deren Entscheidungsgrundlagen den Beschäftigten nicht transparent sind. Nach welchen Kriterien Leistung bewertet wird und dementsprechend Aufträge vergeben werden, ist für Beschäftigte nicht nachvollziehbar und allenfalls Mutmaßungen und Spekulationen unterworfen. Gleichzeitig nehmen die Algorithmen den Beschäftigten und dem Management viele Entscheidungen ab — beispielsweise in welcher Reihenfolge und von wem welche Bestellungen abgearbeitet werden, und tragen damit auch zu einer Vereinfachung der Arbeit bei. Kurier*innen müssen sich dank der App eigentlich gar nicht mehr auskennen in dem Viertel oder der Stadt, da die kürzesten Wege automatisiert berechnet und vorgeschrieben werden. Auch wenn diese Vereinfachung von den Beschäftigten teilweise begrüßt wird, führt sie langfristig zu einer Abwertung von (Erfahrungs-)Wissen und damit zu einer möglichen Dequalifizierung von Beschäftigten.

Die durch die Nutzung digitaler Geräte getätigte Erfassung und Auswertung von individueller Leistung fördert einerseits Konkurrenz unter Beschäftigten, deren Leistung möglicherweise Auswirkungen darauf hat, ob und für wie lange ihr Vertrag verlängert wird, welche Schichten sie angeboten bekommen etc. Andererseits sind auch immer wieder neue Formen der Solidarität unter den Beschäftigten zu beobachten.

Neben der Veränderung von Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnissen wirkt sich digitale Technik auch auf den ökologischen Fußabdruck in der Logistik aus. Zwar bleibt die genaue ökologische Bilanz der Effizienzgewinne durch den Einsatz digitaler Technik in der Logistik ungeklärt. Klar ist jedoch, dass wir beispielsweise im Bereich des Onlineshoppings große Rebound-Effekte beobachten. So ist der klassische Einzelhandel mit großen Heiz- und Strombedarfen einerseits unökologischer als der Onlinehandel, der lediglich auf große Warenlager angewiesen ist, die effizienter genutzt werden können als viele einzelne Ladenflächen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass durch die ökologischen Kosten der Lieferungen an die Haustür und dem hohen Anteil an Retouren diese Effizienzgewinne teilweise wieder wettgemacht werden, und führen so eher zu mehr Konsum als weniger.

Sozial-ökologische Kriterien für die Neugestaltung der Logistikbranche

Wenn die algorithmische Steuerung von Arbeitsabläufen zunimmt, müsste sie sich an den Bedürfnissen derer orientieren, die von dieser Steuerung betroffen sind. Die Beschäftigten sollten Mitbestimmungsrechte in der Entwicklung und dem Einsatz von Steuerungssoftware haben. Die dieser Software zugrundeliegenden Entscheidungskriterien und Funktionsweisen müssen transparent und nachvollziehbar sein, um auch längerfristig Mitgestaltungsmöglichkeiten zu gewährleisten. Auch die für Steuerungssoftware notwendige Erhebung, Speicherung, Verarbeitung und auch der Zeitpunkt des Löschens von Daten muss den Beschäftigen gegenüber transparent gemacht werden.

Um den starken Monopolisierungstendenzen in der Logistikbranche etwas entgegensetzen zu können, muss digitale Steuerungssoftware auch für Akteure mit weniger Ressourcen, wie zum Beispiel ehrenamtlich organisierte Gruppen, möglichst niedrigschwellig nutzbar sein. Dafür ist eine Lizenzierung als Open Source Software sinnvoll. Kleinere Akteure können sich damit leichter digital organisieren und alternative Logistikangebote bereitstellen. Um solche alternativen Projekte in einen gesellschaftlichen Wandel einzubinden, braucht es außerdem skalierbare Lösungen, wie Plattformen. Das Foodsharing-Netzwerk ist hier ein gutes Beispiel: Es verfügt über eine deutschlandweite und einheitliche Plattform, die eine dezentrale Organisierung gegen Lebensmittelverschwendung vor Ort ermöglicht. Darüberhinaus eignen sich zum Beispiel Plugins für weitverbreitete Software, die dezentral von Gruppen und Projekten eingesetzt und bei Bedarf angepasst werden können — wie beispielsweise CommonsBooking, eine Buchungssoftware für freie Lastenräder.

Wenn die Logistikbranche sich zunehmend an sozial-ökologischen Kriterien orientieren will, gilt es gleichzeitig, mit der reinen Orientierung an Effizienz und Flexibilität zu brechen: Der Einsatz digitaler Technik für eine sozial-ökologisch verträgliche Logistik sollte sich an Ressourcensparsamkeit orientieren. Denn Prozesse werden zwar auch bereits jetzt schon optimiert und effizienter gestaltet, jedoch oft mit dem Ziel, noch schneller und immer mehr Produkte umzusetzen. Resssourcensparsamkeit im konsequenten Sinne meint vor allem das Sparen materieller Ressourcen wie Energie und Emissionen. Rebound-Effekten, die häufig mit einer effzienteren Organisation von Prozessen einhergehen, müssen nachhaltig vorgebeugt werden.

Digitale Tools für selbstbestimmte Arbeit und eine ressourcenschonenende Lieferkette

In unseren Diskussionen hat sich gezeigt, dass Technik allein nicht alle Probleme lösen kann und der breitere Rahmen immer berücksichtigt werden muss. Die Herangehensweise, allein eine andere Gestaltung digitaler Technik würde zu allen notwendigen Verbesserungen bezüglich der Arbeitsbedingungen und ökologischen Auswirkungen in der Logistik führen, ist geradezu naiv. Trotzdem ist es klar, dass digitale Technik anders gestaltet werden muss, wenn wir gute Arbeitsbedingungen im Bereich Logistik ermöglichen wollen und einen möglichst ressourcenschonenden Ansatz verfolgen. Vor diesem Hintergrund können verschiedene Handlungsempfehlungen und Strategien formuliert werden:

1. Um selbstbestimmte Arbeit zu ermöglichen, sollten Beschäftigte im Logistikbereich bei der Entwicklung digitaler Technik, insbesondere Steuerungssoftware, miteinbezogen werden. Dafür können die Beschäftigten oder Betriebsräte bei Bedarf mit externen Expert*innen kooperieren.

2. Software-Entwickler*innen spielen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung digitaler Technik. Durch Bildung und öffentlichen Austausch sollten sie für machtkritische, aber auch ökologische Fragen sensibilisiert werden und damit zu demokratischeren Entscheidungen in Entwicklungsprozessen beitragen.

3. Selbstorganisierte und ökologisch nachhaltig agierende Initiativen wie beispielsweise solidarische Landwirtschaften oder Kurierkollektive sollten als Teil einer nachhaltigen Regionalentwicklung gefördert werden. Mit einer Förderung können so stabile lokale Wirtschaftsstrukturen aufgebaut werden. Für solche Initiativen braucht es zusätzlich eine staatliche oder anders organisierte Förderung, die finanzielle Möglichkeiten schafft, sich dort einzubringen — für alle Menschen unabhängig von ihrer sozialen und ökonomischen Stellung. Öffentliche Ausschreibungen von kommunalen oder staatlichen Akteuren können hier ein wichtiger Hebel sein.

4. Die auch aus anderen Kontexten bekannte Forderung “Public Money, Public Code” sollte auch für den Logistikbereich Anwendung finden: Mit öffentlichen Geldern entwickelte Software verpflichtend unter Freien und Open Source Lizenzen zu veröffentlichen — denn eine sozial-ökologische Gestaltung von Lieferketten ist von öffentlichem Interesse.

5. Bei der Eindämmung der Macht von Plattformen braucht es staatliche Regulierung auf unterschiedlichen Ebenen. Aus ökologischen Gründen sollten beispielsweise individuelle Essenslieferungen unattraktiver gemacht werden. Dementsprechend dürfen Lieferplattformen nicht nur profitorientiert handeln — und dies ist vielleicht nur durch Vergemeinschaftung möglich. Auch aus sozialer Sicht ist eine Form von Vergemeinschaftung sinnvoll, denn damit könnte die Abhängigkeit der Restaurants als Essensproduzenten von kommerziellen Plattformen gebrochen werden und die Renditen denjenigen zugutekommen, die die Arbeit vollbringen.

Eine Berücksichtigung der hier angeführten Kriterien und Handlungsempfehlungen für eine sozial-ökologische Neugestaltung von Logistikabläufen könnte ein erster Schritt hin zu einer ressourcenschonenden Güterversorgung und eines regionaleren sowie resilienteren Wirtschaftens sein. Das teils engmaschige Überwachungsnetz großer Techunternehmen wie Amazon oder Lieferando im Logistikbereich zeigt aber auch, dass es gleichzeitig darum gehen muss, mehr Transparenz und demokratische Mitbestimmung beim Einsatz und in der Entwicklung digitaler Technik zu schaffen.