Amazon gilt als der Musterbetrieb für den Einsatz neuer digitaler Kontrollmitteln. Der Konzern, der im Bereich der Datenverarbeitung, des Onlinehandels und zunehmend im Bereich des Warentransports bzw. der Warenlogistik agiert, gilt als Teil der „Avantgarde des digitalen Kapitalismus“ (u.a. Nachtwey & Staab 2015). Arbeiter*innen in verschiedenen Bereichen kritisieren, dass sie bei der Arbeit unter ständiger Kontrolle durch Algorithmen und diversen Überwachungstools stehen. Nichtsdestotrotz unterschätzen derzeitige Diagnosen zur Überwachung im digitalen Kapitalismus, dass Arbeiter*innen auch Subjekte sind, die sich gegen die digitale Überwachung durch das Management wehren. Möglichkeiten, sich gegen digitale Kontrolle zur Wehr zu setzen, möchte ich im Folgenden ausloten. Ich führte dafür Interviews mit dem Betriebsrat Erwin (1), der in einem Warenlager bzw. Fulfillment Center arbeitet, und Karl der im Bereich der Softwareentwicklung für Amazon tätig war. (2) Ziel des Beitrages ist es, dass auch andere Arbeiter*innen von den Erfahrungen der betriebsaktiven Amazon-Arbeiter*innen lernen können. Es geht darum die Diskussion um eine „Technopolitik von unten“ (Schaupp 2021) zu fördern.

Ich werde im Folgenden zunächst die Anwendung algorithmischer Kontrolle bei Amazon kurz umreißen, ehe ich auf rechtliche Wege eingehe, der algorithmischen Kontrolle umzugehen. In diesem Bereich spielt vor allem die Europäische Datenschutzverordnung als Referenzpunkt verschiedener Initiativen aus den Betrieben eine wichtige Rolle. Hierauf will ich informelle Strategien des Umgangs mit der Kontrolle beleuchten, ehe ich zur Bedeutung zivilgesellschaftlichen Protestes zu sprechen komme.

Algorithmische Kontrolle bei Amazon

Ich teile die Einschätzung, wonach Kontrolle mit Hilfe von Algorithmen im Produktionsmodell Amazons eine herausragende Rolle spielt. Der Einsatz von Algorithmen steht dabei im Zusammenhang mit Amazons Geschäftsmodell, das für die Soziologin Sabine Pfeiffer, darin besteht, dass Amazon (a) über seinen Marketplace versucht jedes erdenkliche zahlungskräftige Kund*innenbedürfnis zu stillen (maximale Marktausdehnung) und dabei (b) die Kosten für die Lagerung, den Umschlag und den Transport der Waren (Zirkulationskosten) so gering wie nur möglich halten. (Pfeiffer 2021: 245) Für das Verständnis des Einsatzes digitaler Überwachungstools ist der zweite Aspekt von Bedeutung. Die Zirkulationskosten werden vor allem dadurch gering gehalten, dass die Warenzirkulation möglichst schnell vonstatten geht. Die Zeitintervalle zwischen Kundenbestellung, Bearbeitung der Bestellung im Fulfillment Center und Auslieferung müssen so kurz wie möglich sein. Um die Warenzirkulation effizient zu gestalten, greift Amazon auf digitale Strategien zurück. Sämtliche Bewegungen von Waren in den Logistikketten Amazons werden digital gespiegelt. Dafür werden während der Arbeit konsequent Arbeiter*innendaten erhoben, da es immer Arbeiter*innen, sind die mit den Waren hantieren. In einem weiteren Schritt werden Algorithmen mit den erhobenen Daten gespeist. Sie geben den Arbeiter*innen Arbeitsanweisungen , die ihnen bspw. per Handscanner kommuniziert werden oder zunächst an die Vorarbeiterin, auch Lead genannt, übermittelt werden. Dieser trägt sie dann an die Arbeiter*innen weiter. Hierin besteht die algorithmische Kontrolle. Erwin beschreibt mir die Technik-Mensch-Beziehung am Arbeitsplatz folgendermaßen:

Der Scanner sagt dir: Hole dir den Artikel A. Dann sagt er: Hole dir den Artikel B. Und gibt praktisch dir die Reihenfolge vor […] Amazon sagt, der Arbeiter hat keine Ahnung, der ist doof, dem müssen wir alles sagen. Und deswegen der Scanner und da kriegt er alles gesagt. Und der Computer entscheidet auch, wie er durch die Gänge zu laufen hat […] Es ist ja so, der Arbeiter, der ist nur der, der den Scanner durch die Gegend trägt, damit der Scanner an das Regal kommt. Und der nimmt dann noch eine Ware mit raus und dann trägt er den Scanner wieder weiter, weil der Scanner nicht alleine laufen kann.

Und:

Dieser Scanner wird in nächster Zeit auch verschwinden, weil sie jetzt schon arbeiten an Brillen, dass du oben in die Brille eingeblendet bekommst und dann hast du noch so einen Handschuh an und dann brauchst du nicht mehr den Scanner herumzutragen. Aber ob ich den Scanner habe oder mir das auf der Brille angezeigt wird, der Computer sagt mir, was ich zu machen habe. Und somit bin ich automatisch ein Anhängsel der Maschine.

Auch andere Bereiche in einem Fulfillment Center werden digital kontrolliert. Den Stower*innen (3) wird vorgegeben, in welches Regal sie die Ware beim Wareneingang zu einzuräumen haben. Die Packer*innen bekommen genau gesagt, in welchen Packettyp sie die Waren einpacken müssen. Bei Amazon nehmen sich die Arbeiter*innen als „Anhängsel der Maschine“ wahr, was auch in der bekannt gewordenen Arbeitskampfparole der Amazon-Arbeiter*innen „Wir sind keine Roboter!“ zum Ausdruck kommt. Hierbei muss erwähnt werden, dass die digitale Spiegelung der Infrastruktur Amazons fehlerhaft sein kann, da sie ein Modell der Wirklichkeit darstellt, das immer mit einer Komplexitätsreduktion einhergeht (siehe allgemein hierzu: Fuchs-Kittowski 1992). Picker*innen beschreiben ihre Laufwege als sinnlos oder finden die Waren nicht an den Regalplätzen vor, wo sie laut System liegen sollen. Stower*innen berichten, dass ihnen der Algorithmus sagt, dass sie Waren in bereits überfüllte Regalfächer legen sollen, wo gar kein Platz ist.

Neben Entfremdung und Entqualifizierung erleben die Arbeiter*innen ständige Überwachung als zweite Konsequenz der algorithmischen Kontrolle. Erwin führt dazu aus:

Die haben ein Tool, wo in Echtzeit die Aktivitäten erfasst werden. Und wenn Du eine gewisse Zeit nichts machst, leuchtest Du dann praktisch schwarz. Dein Balken wird dann schwarz… Die sehen es ja immer gleich am Bildschirm, wenn Du länger quatschst, kommen die immer sofort vorbei.

Die individuelle Überwachung wird dadurch möglich, dass sich die Arbeiter*innen mit ihrem persönlichen Log-In bei Arbeitsbeginn an ihrem Scanner einloggen. So dienen die Kontrollmittel dazu, Leistungsdaten zu sammeln, mit denen Druck auf die Arbeiter*innen aufgebaut wird. Amerikanische Kolleg*innen berichteten mir in Gesprächen, dass dort Arbeiter*innen automatisiert per Algorithmus entlassen werden, wenn sie Leistungsziele nicht erreichen. Diese permanente digitale Überwachung erleben aber nicht nur die Arbeiter*innen in den Warenlagern, sondern auch Arbeiter*innen in Amazons Softwarebereich und Kund*innenservice kritisieren diese Strategien der Datenerhebung und permanenten Überwachung.

Rechtliche Handlungsoptionen

Sowohl in den Warenlagern als auch in den Büros von Amazon sorgt diese Art der Überwachung für Stress bei den Arbeiter*innen, die bei der Arbeit von Leads persönlich ermahnt werden, wenn sie bestimmte Leistungsvorgaben nicht erfüllen. Dabei ist allerdings fraglich, ob diese individualisierte Erhebung von Beschäftigtendaten rechtlich zulässig ist oder gegen die Europäische Datenschutzverordnung verstößt. Die niedersächsische Landesdatenschutz-beauftragte hat nach Beschwerde von Arbeiter*innen — ein Weg, der jeder*m Beschäftigten offensteht, wenn seine Datenschutzrechte verletzt werden, vor allem wenn ein Betrieb keinen Betriebsrat hat — die Tools von Amazon überprüft. Nun läuft ein Verfahren. Im Bericht der Landesdatenschutzbeauftragten 2020 heißt es:

Die durch die Amazon Logistik GmbH mit der ununterbrochenen Erhebung und Verwendung von Beschäftigtendaten beabsichtigte pünktliche Warenlieferung sowie ihre weiteren Interessen rechtfertigen diesen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten nicht. Deshalb vertrete ich in diesem Fall die Rechtsauffassung, dass das Recht der Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung das Interesse der Amazon Logistik GmbH Winsen überwiegt. Zudem könnte die pünktlich Warenlieferung auch mit der Verbreitung von weniger Beschäftigtendaten gewährleistet werden. So hielte ich es zum Beispiel für denkbar, dass ausschließlich der Standort der Ware innerhalb des Logistikzentrums verfolgt wird — ohne die Verwendung personenbezogener Daten (Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen 2021: 164). (4)

Laut Karl schätzt dies der Landesbeauftragte für Datenschutz in seinem Bundesland genauso ein. Allerdings würden ihm die personellen Ressourcen fehlen, um gegen Amazons Praxis vorzugehen. Noch ist offen, wie das niedersächsische Verfahren ausgeht. Hätte es Erfolg, müsste Amazon sein grundlegendes Betriebsprogramm zumindest an den deutschen Standorten nach Einschätzung Erwin ändern:

Wenn die Daten nicht mehr gesammelt werden könnten, dann könnten wir nicht mehr arbeiten. Das Tool ist so aufgebaut, dass es die beiden Seiten nicht mehr trennen kann […] Das Tool ist so programmiert, dass die Daten nur personalisiert erhoben werden.

Unabhängig von der Landesdatenschutzbeauftragten hat schon vor Jahren der Betriebsrat an Erwins Standort gehandelt. Der Betriebsrat forderte das auf Management mit ihm über die „Konsole“ zu verhandeln. Mit „Konsole“ ist das grundlegende Betriebssystem gemeint, mit dem Amazon seine Fulfillment Center betreibt. Die Erhebung individueller Beschäftigtendaten ist Teil des Betriebssystems. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass der Betriebsrat ein Recht hat, über die Tools, die Beschäftigtendaten erheben, mit der Geschäftsführung zu verhandeln. Amazon versucht sich jedoch seit Jahren der Verhandlung zu entziehen, weil es schließlich um die grundlegende Funktionsweise des Fulfillment Centers geht. Somit liegt der Fall seit Jahren bei einer Einigungsstelle, ohne dass es vorangeht. Andere festgefahrene Verhandlungen lösen Einigungsstellen zwischen Management und Betriebsräten unter Zuzug eines Arbeitsrichters normalerweise in wenigen Wochen. Dies führt zu einem Schwebezustand am Standort. Offiziell darf Amazon nicht auf die Leistungsdaten zurückgreifen, weil es sie eigentlich derzeit nicht erheben dürfte, bis es eine Einigung gibt. Allerdings wissen alle, dass Amazon diese Daten erhebt — andernfalls müsste das Fulfillment Center heruntergefahren werden. Im Alltag führt das dazu, dass Leistungsfeedbacks nicht mehr stattfinden. Arbeiter*innen werden nicht mehr ermahnt, wenn sie Leistungsvorgaben nicht erreichen. Erwin berichtet auch, dass eine Abmahnung wegen Inaktivität erfolgreich abgewehrt wurde, bei der sich der zuständige Manager zu offensichtlich auf Daten bezog, die er nicht hätte erheben dürfen. Das macht den Arbeitsalltag für die Arbeiter*innen angenehmer. Erwin weiß aber nicht, inwieweit die Beschränkung von Leistungsfeedbacks in der großen Gruppe der nicht-deutschsprachigen Arbeiter*innen bekannt ist.

Zu einer Einigung kamen die Betriebsräte an Karls Standort, der im Bereich der Softwareentwicklung arbeitete. Diese verhandelten mit Amazon nach längerem Druck in der Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung, die die Nutzung individueller Leistungsdaten für Leistungsfeedbacks und Personalentscheidungen nicht nur regelt, sondern bis auf wenige Ausnahmen auch untersagt. Die Daten werden zwar für alle weiter individuell erhoben, aber nur die Arbeiter*innen selbst können die Leistungsdaten einsehen. Würde eine Managerin in die persönlichen Leistungsdaten reinschauen, dann würde sie eine Straftat begehen. Nach Karl argumentierten die Betriebsräte bei der Aushandlung mit Amazon wie die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte. Das Geschäftsinteresse Amazons legitimiert keineswegs die permanente Erhebung und Auswertung von Arbeiter*innen-Daten. Das „Menschrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ überwiegt das Geschäftsinteresse Amazons. Karl wundert sich bis heute, dass dies so einfach durchzusetzen war und dass andere Betriebsräte in deutschen Amazon Standorten dem Beispiel bisher nicht folgen. Für ihn wäre die Betriebsvereinbarung leicht auf andere Standorte zu übertragen. So ist es für Karl auch fraglich, ob die permanente Überwachung der Lieferfahrer*innen bei Amazon — und vergleichbaren Unternehmen — durch das legitime Geschäftsinteresse gedeckt ist. Die Managerin könnte den Lieferfahrer auch anrufen, wenn sie dessen aktuellen Standort wissen möchte.

Ein anderer Umgang mit der Nutzung von Leistungsdaten durch das Management hat sich im Leipziger Fulfillment Center etabliert. Hier verweigern die selbstbewussteren Arbeiter*innen ein Leistungsfeedback. Da im Arbeitsvertrag keine Leistungsziele festgeschrieben sind, darf es keine Abmahnungen und Kündigungen aufgrund dieser geben. Für diese Arbeiter*innen stellt das Heranziehen individualisierter Leistungsdaten kein Problem dar. Es ist allerdings fraglich, ob alle Kolleg*innen in der Position sind, so selbstbewusst aufzutreten; vor allem Leiharbeiter*innen oder Kolleg*innen mit befristeten Verträgen — vor allem wenn sie eine Festanstellung anstreben.

Zu all diesen drei Umgangsformen, die in Bezug zum rechtlichen Rahmen stehen, muss festgehalten werden, dass sie auf jeden Fall die Qualität der Arbeit verbessern, wenn es gelingt die alltäglichen Leistungsfeedbacks zu verhindern. Der Stress beim Arbeiten nimmt ab. Allerdings werden in allen Fällen weiterhin Daten an Amazon geliefert. Diese nutzt das Unternehmen weiterhin zur Optimierung seiner Prozesse und seiner Technologien, wobei fraglich ist, inwieweit diese Anwendung der Technologie im Interesse der Beschäftigten ist.

Widerstand im Arbeitsalltag

Diese Verweigerung gegenüber den Leistungsfeedbacks der Leads im Arbeitsalltag am Leipziger Standort verweist auf eigensinnigen Strategien, um sich der Kontrolle durch das Management zu entziehen. (5) Durch diese Strategien machen sich die Arbeiter*innen den Arbeitsalltag angenehmer und entfliehen ein Stück weit dem Stress, der gerade in Zeiten mit hohem Warenvolumen sehr stark sein kann. Arbeiter*innen, die lautstark auf der Arbeit gegen die Anwendung von Leistungsfeedbacks protestieren, werden von den Leads in Ruhe gelassen.

Erwin nennt noch weitere Formen von derartigen Widerstandspraktiken. So scannen Arbeiter*innen, wenn sie während der Arbeitszeit Gespräche führen, einfach irgendwelche Waren ab, damit sie nicht als inaktiv auf dem Bildschirmen der Vorgesetzten erscheinen. Ist das Warenaufkommen im Fulfillment Center zu groß, gehen Arbeiter*innen einzeln oder kollektiv auf die Toilette, um dem Stress zu entkommen. All dies zeigt an, dass es in der Arbeitssituation individuelle und kollektiv-solidarische Wege gibt, um sich der digitalen Überwachung zu entziehen, und dass diese auch genutzt werden. Gleichzeitig basieren sie immer auf der Durchsetzungskraft der Arbeiter*innen, sich den offiziellen Arbeitsvorgaben, dem Takt der digitalen Maschine und den ständigen Ermahnungen der Leads zu entziehen. Abschließend möchte ich auf gesellschaftliche Lösungen zurückkommen.

Der beste Arbeitgeber der Welt

We have always wanted to be Earth's Most Customer-Centric Company. We won't change that. But I am committing us to an addition. We are going to be Earth’s Best Employer and Earth’s Safest Place to Work […] We’re developing new automated staffing schedules that use sophisticated algorithms to rotate employees among jobs that use different muscle-tendon groups to decrease repetitive motion and help protect employees from MSD risks. This new technology is central to a job rotation program that we’re rolling out throughout 2021 (Bezos 2021). (6)

Die Arbeiter*innen bei Amazon werden nicht allzu viel Hoffnung in das neue, von Jeff Bezos ausgegebene Firmenziel legen, nach dem Amazon nun bestrebt sei, der beste Arbeitgeber der Welt zu werden. Amazon möchte künftig unter der Anwendung von Algorithmen die Rotationsmöglichkeiten der Arbeiter*innen verbessern, so dass die Bewegungen im Arbeitsalltag vielfältiger sind. Auch wenn einige Arbeiter*innen keine Lust auf Rotation haben, kommt er mit dieser Ankündigung den Wünschen von gewerkschaftlichen Betriebsräten entgegen. Diese erhoffen sich, durch mehr Rotation die Überlastung der Arbeiter*innen einzudämmen. (7)

Diese Maßnahme zur Gesundheitsförderung reagiert nicht nur auf den hohen Verschleiß menschlicher Arbeitskraft im Konzern, sondern auch auf die zunehmenden Proteste von Amazon-Belegschaften und einer kritischen Öffentlichkeit weltweit, in denen algorithmische Kontrolle eine wichtige Rolle spielt. Sie steht zeitlich im Zusammenhang mit verstärkter medialer Aufmerksamkeit für Amazon im Zuge der COVID-19-Pandemie und der Gewerkschaftswahl im Fulfilmment Center in Bessemer, Alabama. Es wird sich zeigen, ob auf die Ankündigung Taten folgen werden. Es wird aber deutlich, dass der Widerstand der Betriebsaktiven weltweit zusammen mit der Unterstützung der Zivilgesellschaft öffentlichen Druck auf den Konzern aufgebaut hat. Dieser könnte auch im Konfliktfeld der digitale Überwachung im Interesse der Beschäftigten genutzt werden. Amazon steht seinerseits unter öffentlichen Beobachtung.

Die Beispiele der Widerstandsformen zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, individuell und kollektiv die algorithmische Kontrolle einzuschränken und die Arbeitsverhältnisse der Arbeiter*innen in der Logistikbranche — und allen anderen Branchen, in denen derartige Überwachungstools eingesetzt werden — zu verbessern. Die zunehmende digitale Überwachung an Arbeitsplätzen muss nicht einfach hingenommen werden. Auf diese Formen des Widerstandes sollte sich eine politischen Strategie gegen die Schattenseiten der Digitalisierung von Arbeit konzentrieren.

Fußnoten

1 Die Namen der Interviewten wurden zwecks der Anonymisierung verändert.

2 Für das Letzte-Meile-Geschäft, also die Paketzustellung, haben Boewe, Morgentroth und Schulten für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zuletzt (2021) eine Studie vorgelegt. Sie ist im Internet abrufbar unter: https://th.rosalux.de/publikation/id/44910 Auch hier gehen die Autor*innen auf die Rolle digitaler Überwachungstools ein.

3 Die Stower*innen sind diejenigen Arbeiter*innen in einem Fulfillment Center, deren Job es ist die mit in der Regel LKW angelieferte Ware in den Regalen und sonstigen Stellplätzen zu „verstauen“.

4 Der Tätigkeitsbericht kann unter folgendem Link eingesehen werden: https://lfd.niedersachsen.de/startseite/infothek/presseinformationen/taetigkeitsbericht-2020-200726.html

5 Mit dieser Thematik habe ich mich in einem Sammelbandbeitrag mit Georg Barthel und Felix Gnisa ausführlicher auseinandergesetzt mit dem Arbeitstitel Eigensinn im marktgesteuerten digitalen Taylorismus. Eine empirische Untersuchung zu Aneignungsweisen im Produktionsmodell von Amazon. Diese erscheint demnächst in dem Sammelband Heiner Heiland, Simon Schaupp (Hg.), Widerstand im Arbeitsprozess. Bielefeld. Siehe hierzu auch Schaupp 2021.

6 Bezos Brief an die Aktionär:innen von Amazon siehe: https://www.aboutamazon.com/news/company-news/2020-letter-to-shareholders, eingesehen am 28. Juni 2021.

7 Es ist weiterhin zu vermuten, dass es Amazon nicht nur um Gesundheitsschutz bei der Maßnahme geht, sondern dass sie um Kontext des Flexibilisierungsdrucks steht, der bei Amazon Praxis ist. Die Arbeiter*innen werden im Fulfillment Center ständig herumgeschoben je nach Auftragslage. Schaupp berichtet, dass algorithmisches Personalmanagement in der Industrie bereits erprobt wird, um unproduktive Arbeitszeiten bzw. „Tot-Zeiten“ zu minimieren (Schaupp 2021). Vor diesem Hintergrund kann die Maßnahme Amazons auch bewertet werden.

Literatur:

• Klaus Fuchs-Kittowski (1992) Theorie der Informatik im Spannungsfeld zwischen formalem Modell und nichtformaler Welt. In: Wolfgang Coy et all (Hg.), Sichtweisen der Informatik, Braunschweig. S. 71-82.

• Oliver Nachtwey & Phillip Staab (2015): Die Avantgarde des digitalen Kapitalismus. In: Mittelweg 36 24,6.

• Sabine Pfeiffer (2021): Digitalisierung als Distributivkraft. Über das Neue am digitalen Kapitalismus. Bielefeld. Pfeiffers Buch kann kostenlos im Internet auf der Verlagshomepage heruntergeladen werden: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5422-6/digitalisierung-als-distributivkraft/?number=978-3-8394-5422-0

• Simon Schaupp (2021). Technopolitik von unten. Algorithmische Arbeitssteuerung und kybernetische Proletarisierung. Berlin.

Hans-Christian Stephan promoviert derzeit unterstützt durch ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung an der Technischen Universität Chemnitz zu Produktionsregimen und Kontrollstrategien des Management in Logistikbetrieben in der Region Leipzig.